EXODUS: Neue Geschichte über die Erkundung einer verlassenen Welt

Emanuela (21. November 2024 11:48 )

EXODUS: In die Tiefe


In den Weiten des Centauri Clusters liegen uralte Ruinen unter Fels und Schutt begraben – Überreste jener, die vor uns hier waren. Ein endloser Zyklus aus Zivilisationen, aus Menschen und Celestials, die immer neue Höhen erreichen, ehe sie zu Staub zerfallen. Welten, die verlassen und vergessen daliegen, bis eine neue Generation eintrifft, um auf dem aufzubauen, was hier zurückgelassen wurde. Schicht auf Schicht.

Für die Archenschiffe, die nun nach Jahrtausenden in der Leere des Weltraums eintreffen, sind diese Ruinen Leuchtfeuer der Hoffnung. Auf diesen verlassenen Welten finden wir die versprengten Überreste fortschrittlicher Technologien, um unser eigenes Verständnis des Universums voranzutreiben und in dieser neuen Welt Fuß zu fassen. In den Knochen unserer Vorgänger finden wir ein Skelett, auf dem wir aufbauen können.

Aber nicht alle Ruinen bergen Schätze. In manchen lauern weit mehr als bröckelnde Bauten und zurückgelassene Maschinen. Wir treten in die Fußstapfen jener, die vor uns kamen, und hoffen, dass uns ihr Pfad nicht in unser eigenes Verderben führt. Wenn wir weit, weit in die Tiefe graben, werden wir dort den Schlüssel unseres eigenen Überlebens finden, oder stoßen wir auf unvorstellbare Schrecken, die lieber begraben geblieben wären?

In die Tiefe

„Es ist eine Brache“. Seiner gepanzerten Einsatzrüstung zum Trotz kauerte sich Brian gegen Wind und Regen zusammen. Sie befanden sich inmitten eines wirren Mosaiks aus Blöcken und Schluchten; Steinplatten, die in bedrohlichen Winkeln geneigt waren.

„Es ist eine Ruine“, berichtigte ihn Reese.

„Und der Unterschied wäre?“

„Jemand hat hier gelebt. Dann könnten wir es auch“, erklärte sie.

„Ach ja?“

„Energiesignaturen, weißt du noch?“, erinnerte ihn Reese. „Jemand hat ein Licht brennen lassen.“

„Oder einen schmelzenden Reaktorkern“, murrte Brian. Sie wählten ihren Pfad mit großer Vorsicht, erklommen Hügel und seilten sich in Schluchten ab. Die gesamte Welt war so: Ruine folgte auf Ruine. Die Asche einer Zivilisation, die zwar nun fort war, doch Jahrhunderte überdauert hatte. Ihr Ende war plötzlich und verheerend gewesen. Sie hatten einander ins Verderben gebombt. Oder es war jemand anderes gekommen und hatte es für sie getan. Ein globales nukleares Bombardement so fern in der Vergangenheit, dass der Lauf der Zeit selbst dies verschluckt hatte.

Bald darauf fanden sie einen Weg nach unten. Vorsichtig seilten sie sich ab und fanden sich in einem niedrigen Raum voller Säulen und ausgehöhlter Gebäude wieder. Wer auch immer hier gelebt hatte, hatte winzige Fenster geliebt, durch die kein gewöhnlicher Mensch sehen konnte, und gerade Linien gehasst. Wer auch immer hier gelebt hatte, war gestorben, begriff Reese. Und hatte ungeachtet der Energiesignaturen definitiv kein Licht brennen lassen. Die Lampen ihrer Anzüge durchdrangen mühselig die Dunkelheit, nur um auf noch mehr davon zu stoßen. Straße um gewundene Straße erwarteten sie winzige Fenster dicht unter der niedrigen Decke. Gelegentlich ein Hauch von Kunst: verblasste metallische Farben, die im Licht ihrer Lampen graublau oder orange schimmerten. Auf einer gewölbten Wand prangte eine komplexe Anordnung aus Kreisen und Verbindungslinien. Ein abstraktes Gemälde? Oder eine Karte des Stadtzentrums?

„Wir können unter der Erde leben“, sagte sie. „Wie diese Leute. Wir müssen nur herausfinden, wie sie es geschafft haben.“

„Das haben sie nicht“, sagte Brian emotionslos.

„Was?“

„Wer auch immer das hier gebaut hat, war anders als die Leute da oben. Das oben waren große, flache Steinplatten. Das hier sind Kreise. Das war einmal die Oberfläche. Wer auch immer danach kam, hat auf diesen Ruinen gebaut und sie vergessen.“

Der Gedanke ließ sie erschaudern. Die Ruinen auf der Oberfläche waren seit über tausend Jahren verlassen. Wie lange hatten sie gelebt – vor dem Ende? Und wie lange hatte diese tiefere Ebene der Besiedlung verlassen dagelegen, ehe dieses andere Volk gekommen war, um hier zu leben? 

Bald darauf entdeckten sie, dass die Bewohner der Oberfläche ihre begrabenen Vorgänger doch nicht vergessen hatten. Als ihre eigene Welt vor dem Ende stand, hatten sie in die Tiefe gegraben. Es gab Spuren einer improvisierten Siedlung. Von Versuchen, die kreisförmigen Gebäude wieder aufzubauen. Flüchtlinge von der Oberfläche waren hierhergekommen und … hatten was getan? Die wenigen Spuren, die es gab, deuteten nicht darauf hin, dass sie lange geblieben waren.

„Sie sind gestorben“, verkündete Brian tonlos. „Die ganze Oberfläche war mit gespaltenen Atomen übersät, Reese. Sie waren sicher schon krank, als sie hier ankamen.“

„Über uns ist genug Fels, um sie zu schützen. Ich möchte herausfinden, wohin sie gegangen sind. Energiesignaturen, erinnerst du dich?“

„Denkst du, sie sind da unten immer noch am Leben?“

„Vielleicht.“

Brian schüttelte seinen behelmten Kopf. „Wie stellst du dir das vor? Wenn wir auf eine Zivilisation blinder Kannibalen stoßen, geht das auf deine Kappe.“

„Wenn du so ein Pessimist bist, warum bist du dann nicht auf der Erde geblieben?“, entgegnete sie.

„Ich wurde auf dem Schiff geboren“, erwiderte er. „Nicht alle konnten die Reise im Schlaf bestreiten.“ Es war ein Funken eines viel größeren Konflikts, die Unterteilung von Schläfern und Schuftern, wie sie genannt wurden, aber dieser Streit würde warten müssen, denn in diesem Moment fanden sie die Luke.

Schwarzes Metall, in den Boden eingelassen. Unberührt von Korrosion und mit seltsamen Mustern versehen, an denen der Blick haften blieb. Vier Meter im Durchmesser, oktogonal. Sowohl der Größe als auch der Form nach im starken Kontrast zu ihrer sonstigen Umgebung.

Einen Moment lang starrten sie schweigend darauf. Dann öffnete Brian den Mund und sie bedeutete ihm mit einer behandschuhten Hand zu schweigen.

„Aber …“

„Brian, du warst im Begriff zu sagen, dass dahinter nichts Gutes liegen kann, und ich will es nicht hören. Sie führt nach unten. Zu den Energiesignaturen. Funktionale Technologie. Fröhliche Roboter, die uns jeden Wunsch von den Lippen ablesen.“

„Bevor sie uns ermorden.“

„Brian, kannst du … mir einfach helfen, sie zu öffnen?“

Wären die anderen vor ihnen nicht gewesen, hätten sie es nicht geschafft. Jemand mit einem besseren Verständnis dieser Technologie war bereits hier gewesen. Sie fanden geöffnete Paneele, freiliegende Drähte. Mit ein wenig Energie aus ihren Anzügen spaltete sich die immense Luke in dreieckige Teile und öffnete sich lautlos. Reese kroch bis an den Rand und sah hinunter.

„Sie haben ein Licht brennen lassen“, hauchte sie. Ihre Stimme bebte. Der schwache Schimmer grünlich-weißer Beleuchtung befand sich in großer Tiefe. Die Luke hatte den Blick auf einen gigantischen höhlenartigen Raum freigegeben, eine Welt unter der Welt. Die metallische Flanke einer gewaltigen Maschine erstreckte sich in der Dunkelheit in die Ferne. Die langen gewellten Spuren an ihren Seiten waren Stein, das Ergebnis tausender Jahre tropfenden Wassers. Und doch brannte immer noch Licht und sie hörte ein tiefes Donnern in der Ferne, kaum mehr als eine leichte Vibration – der Beweis einer gigantischen Maschinerie, die nach wie vor der Entropie trotzte.

Sie ließen sich in den Abgrund herab. Die schwachen Leuchten hingen an hauchdünnen Fäden in der Luft und bildeten unverständliche Konstellationen. Als Brian die Hand nach einer davon ausstreckte, schnitt der kaum sichtbare Faden in die Fingerspitze seines Handschuhs, eine unendlich scharfe Trennlinie in der Realität.

Als sie den Boden erreichten, ragten die verwitterten Flanken stillgelegter Maschinen zu allen Seiten auf: keine Stadt, sondern eine Fabrik von unvorstellbarer Größe, oder ein Industriegebiet. Als sie noch nach Atem rangen, hörten sie das Scharren von Metall auf Metall, das die Ankunft einer Kreatur ankündigte. Sie schlüpften in das Gehäuse der nächsten stillgelegten Maschine und warteten.

Sie sahen eine skelettgleiche Konstruktion aus Metall, die wie ein Mensch aufrecht ging, und eine Spur aus gerissenen Kabeln und Schläuchen hinter sich herzog. Als es in den Schein einer der herabhängenden Lampen trat, sahen sie, wie seine plastikartigen Eingeweide sich wanden, als würden sie von dem Licht genährt. Uralte Reparaturmechanismen verknüpften Stränge und Komponenten, die sich kurz darauf wieder lösten. Ein ewiger Zyklus aus Reparatur und Verfall. Und dann wurde es wieder von der Dunkelheit verschluckt. Nur seine leise verhallenden Schritte zeugten noch von seiner Existenz.

„Das ist ein Problem“, sagte Brian.

„Eine Gelegenheit“, berichtigte ihn Reese. „Verwertbare Technologie. Wir können davon lernen.“ Ein verzweifelter Hang zum Positiven.

Sie gingen weiter. Ihre Stiefel durchbrachen die dünne Membran des vom Wasser herangetragenen Gesteins, das den Boden bedeckte, während sie weiter nach Spuren der einstigen Flüchtlinge suchten. Vor sich sahen sie ein massives, unförmiges Paneel, das von einer der Maschinen gerissen worden war, und beschleunigten ihre Schritte. Aus dem Inneren schien ein Licht. Ein blauer Schimmer, der sich von dem der Hängeleuchten absetzte.

In ihrer Hast zu sehen, was sich dort befand, wäre sie beinahe hineingefallen. Es gab keinen Boden, nur einen unvermittelten Abfall auf eine tiefere Ebene. Brian packte sie an ihrem Gürtel, als sie nach vorne kippte, und einen Moment lang hing sie in der Luft, hinabsehend. Begreifend.

Als er sie zurückzog, stand sie einen Augenblick regungslos da, holte Luft, ordnete ihre Gedanken. 

„Du hattest recht“, sagte sie schließlich. „Das ist kein Ort für uns. Wir müssen weiterziehen. Es wird bessere Welten geben.“

Wenn er überrascht war, dann gab er es nicht zu erkennen. Er nickte bloß. Schweigend kehrten sie zum Aufstieg zurück.

Sie hatte hinabgesehen und sie erblickt. Die Bewohner dieses ausgestorbenen Orts. Sie konnte nicht sagen, ob sie diese Maschinen oder die runden Behausungen erbaut hatten, oder ob sie die Flüchtlinge von der Oberfläche waren. Es waren hunderte gewesen. Zeit und Wasser hatten ihnen eine zweite Haut aus Stein verpasst, die sie für immer in dem Moment ihres Todes festhielt. Mit ausgestreckten Armen aneinander gekauert, um die undenkbare Kraft abzuwehren, die ihre Leben ausgelöscht hatte. Gekrümmte Wirbelsäulen, Köpfe in den Nacken gelegt. Menschlich genug, dass sie das Grauen ihrer letzten Momente an ihrer Gestalt ablesen konnte. Was auch immer ihre Welt zerstört hatte, hatte sie nicht verschont.

Und unter ihnen, durch die Lücken im Boden, schimmerte eine tiefere Ebene im roten Licht anderer Leuchten. Lücken zwischen den Balken und sich behäbig drehende Räder. Und darunter, am Rande ihres Sichtfelds, lag eine Schlucht voller winziger weißer Punkte, unter der sich mit Sicherheit noch mehr verbarg. Welten der Toten, die immer weiter in die Tiefe reichten. Das würde sie der Arche melden. Keine Welt zum Siedeln, oder auch nur zum Verwerten. Keine Welt, auf der man leben konnte. Bloß ein Ort zum Sterben.



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