The Ship - Mörder Ahoi

The Ship - Mörder Ahoi

(Xider, bhv Software)

geschrieben von Jan-Tobias Kitzel

 

     
 

Es soll ja noch Leute geben, die in der Welle von Fortsetzungen, Lizenzvermarktungen und Franchise-Titeln Ausschau halten nach Spielen, die eher unter die Rubrik "Geheimtipp" fallen. "The Ship" wurde im Vorfeld als ein eben solcher gehandelt. Aber ob er diese Vorschusslorbeeren verdient hat? Wir werden sehen.

 

Gameplay oder: "Billardqueue, Skalpell oder Signalpistole - Hauptsache tot"

Es hätte ein echt schöner Urlaub werden können: Ein piekfeines Kreuzfahrtschiff, Service so weit das Auge reicht und sogar ein nettes Taschengeld obendrein. Plötzlich aber tritt der geheimnisvolle Mr. X auf die Bühne und erklärt den verdutzten Reisenden per Videoschaltung, dass sich ihr Luxusdampfer gerade in einen goldenen Käfig verwandelt hat. Frei kommt nur, wer andere Passagiere ermordet. Aber halt, das Ganze soll kein wahlloses Massaker werden: Mr. X gibt vor, wer über die Klinge zu springen hat - und je ausgefallener das Tötungswerkzeug, desto mehr Geld bekommt der Mörder. Und da es andere Mitreisende auch auf den Spieler selbst abgesehen haben, sollte man besser seine Skrupel beiseiteschieben und beim tödlichen Ringelreihen mitmessern, was das Zeug hält.

So weit die Story von "The Ship", die den Rahmen des Gameplays sowohl im Single- wie auch Multiplayermodus absteckt. In der überdrehten Comicgrafik bekommt ihr Mordauftrag um Mordauftrag und seid stets auf der Jagd nach der Waffe, die laut aktueller Liste gerade die größte Belohnung bei erfolgreichem Einsatz bringt. Werfen wir zuerst einen mordlüsternen Blick auf den Einzelspielermodus: Nach einem kurzen Tutorial, das euch die vergleichsweise simple Bedienung des Interface beibringt, erhaltet ihr von einem windigen Pagen auch schon den ersten Mordauftrag. Stellt sich nur die Frage: womit durchführen? Also Augen auf und die im 20er-Jahre-Stil gehaltene Umgebung nach einem passenden Instrument der Vernichtung abgesucht. Dabei gilt: Je abgedrehter, desto besser für euer Konto. Mit einem Messer kann schließlich jeder zum Herrn über Leben und Tod werden. Mit einer Signalpistole, einer Giftspritze oder einem Golfschläger wird das schon deutlich schwieriger.

Erst recht, wenn die Umgebung die Daumenschrauben anzieht: Werdet ihr mit einem gefährlichen Gegenstand von einem Zeugen oder gar einer Kamera beobachtet - was euch über das Interface angezeigt wird -, wandert ihr schnurstracks in das schiffseigene Gefängnis, das ihr ohne jede Waffe wieder verlassen werdet. Ärgerlich. Daher ist ein Blick über die Schulter eine gute Idee vor jedem Mord, um zu gucken, ob auch keiner guckt. Aber was ist das? Plötzlich blinkt am linken Bildschirmrand ein Symbol auf: ein Teller mit Messer und Gabel. Essen? Richtig. In regelmäßigen Abständen müsst ihr verschiedenen Bedürfnissen wie Schlaf, Hunger, Durst, sozialen Kontakten, Freizeitspaß oder Hygiene nachkommen, sonst wird euer Spielercharakter deprimiert und stirbt letztendlich. Klingt nach lustiger Abwechslung, ist es aber leider nicht: Im Einzelspielermodus werden die so genannten "Bedürfnisse" viel zu oft ausgelöst und nach einiger Zeit verdreht man genervt die Augen, wenn der Charakter mal wieder nach wenigen Minuten Spielzeit irgendeiner Notwendigkeit nachgehen will beziehungsweise muss.

Aber das ist leider nicht der einzige Nervfaktor in "The Ship". Da wäre die nicht vorhandene Speichermöglichkeit während eines Auftrags, die ungenaue Schiffskarte, die euch immer nur eure ungefähre Position verrät und so mancher Mangel in der Übersetzung. Wenn euch also immer mal wieder ein englischer Text im ansonsten deutschen Spiel entgegenprangt, nicht wundern - so ist "The Ship" leider nun einmal. Da erstaunt es kaum, dass "ein bisschen Schlaf" oder "ein kurzer Schluck" nicht machbar ist: Wenn ihr einmal anfangt, ein Bedürfnis zu stillen, zieht euer Charakter das bis zur völligen Befriedigung durch, so unrealistisch das für einen unter Mordsdruck stehenden Passagier auch ist. Aber eigentlich könnt ihr euch auch entspannen: Anders als im Intro versprochen ist nämlich im Singleplayermodus von "The Ship" kein anderer Passagier auf euch angesetzt, Zeit habt ihr also en masse. Vielleicht sind auch fast alle Mitreisenden wahnsinnig geworden und freiwillig über Bord gesprungen, das würde jedenfalls die fast menschenleeren Gänge erklären, die so gar keine Atmosphäre aufkommen lassen wollen. Bliebe noch das Kampfsystem zu erwähnen: Opfer wehren sich so gut wie nie und Blocken ist ebenso wenig möglich wie unterschiedliche Attacken - es läuft letztlich auf Dauergeklicke hinaus. Aufregend. Da ist man fast froh, dass der Abspann des Singleplayermodus bereits nach wenigen Stunden über den Bildschirm flimmert.

Das wäre an sich nicht schlimm, ist doch der Multiplayerbereich das eigentliche Herzstück von "The Ship". Wäre. Denn leider ist es dort ähnlich langweilig. Es existieren kaum Server mit vernünftigen Pingwerten - selten mehr als zehn - und selbst innerhalb dieser Handvoll ist es schwer, einen zu finden, auf dem nicht mindestens die Hälfte der Spieler sogenannte Bots sind, also vom Server gesteuerte Computerfiguren, deren dämliches Verhalten einfach nur noch mit "Moorhuhn" zu beschreiben ist. Wer "The Ship" im Multiplayer spielt, stößt schon einen Schrei der Freude aus, wenn er einen Server mit fünf oder gar sechs menschlichen Mitspielern findet. Wenn er sich mit "The Ship" denn überhaupt noch abgibt. Denn die Multiplayerpartien laufen stets nach dem gleichen Schema ab: Die Runde beginnt, jeder bekommt den Namen eines anderen Reisenden genannt, hetzt hektisch über das Schiff auf der Suche nach seinem Opfer, sammelt unterwegs möglichst geldbringende Mordwaffen ein und meuchelt dann seine Zielperson. Oder stirbt aufgrund des bereits beschriebenen "Wer schneller klickt, kratzt später ab"-Kampfsystems einen schnellen Tod. Und dann wieder alles von vorn. Spielspaß oder gar Spannung sieht anders aus. Dass das Bedürfnissystem im Multiplayermodus etwas seltener nervt und mehrere Kreuzfahrtschiffe zur Auswahl stehen, zieht das Schiff dann auch nicht mehr aus dem Dreck, es bleibt im Sumpf der Langeweile stecken.

 

Grafik oder: "Ein Comic aus den 20ern"

Die Level- und Grafikdesigner von "The Ship" haben Comic-Versionen von Kreuzfahrtschiffen erschaffen und unter dieser Prämisse halbwegs passable Arbeit abgeliefert. Die Räume sind stilecht im Geschmack der 20er-Jahre eingerichtet, und wäre nicht der beschriebene Mangel an Mitpassagieren, könnte in den Gängen sogar etwas Atmosphäre aufkommen. So allerdings fallen die Gleichheit der Korridore und die Abwesenheit von liebevollen Designkleinigkeiten voll auf. Da kann die passable Source-Engine, die hinter "The Ship" werkelt und für solche Knaller wie "Half-Life 2" verantwortlich ist, deutlich mehr; sie wurde für "The Ship" nur nicht ausreichend gefordert. Letztlich bleibt das Spiel damit grafisch im Mittelmaß.

 

Sound oder: "Wo ist meine Pistole?"

Hollywood liebt Wiederholungen, und die Sounddesigner von "The Ship" lieben sie offensichtlich auch. Jedem Bereich des Schiffs wurde ein bestimmtes Soundschema zugewiesen, und so ertönt beispielsweise im Restaurant bei jedem Betreten dasselbe Lied, egal, wie viele Spielstunden mittlerweile vergangen sind. Wäre an sich halb so tragisch, wenn die Musikstücke nicht so nervig wären. Insbesondere die gekünstelt "lustigen" Radioausschnitte sind derart nervtötend, dass man unweigerlich mit seiner Figur zum Dauerjogger wird, wenn man einen derart beschallten Raum durchqueren muss. Die Waffen- und Umgebungssounds sind unauffällig und damit im Vergleich zur Musik eine Wohltat.

"The Ship" hatte das Zeug zum Geheimtipp: Eine Story abseits der Masse und eine Spielidee, die einfach anders ist. Aber leider ist nichts draus geworden. Statt dessen ein Schiff voller Langeweile, egal ob Single- oder Multiplayer, im Bermudadreieck der verkorksten Spiele gesunken. Im Verbund mit eintönigen Kämpfen, wenig Spielatmosphäre, geringer Serverauswahl und nervtötender Musik ist aus "The Ship" zwar ein Tipp geworden, aber leider nur der, es sich nicht zuzulegen.

 

(12.12.2006)

 


Fazit

oder: "Mit Mann und Maus untergegangen"


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