inFamous (PS3) (Sony) geschrieben von Witali Blum
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"Aus großer Kraft folgt große Verantwortung!" Fast jeder Superheld scheint nach diesem Motto zu handeln, als ob es selbstverständlich wäre, die Schwachen zu beschützen und das Böse zu bekämpfen. Was würde aber passieren, wenn ein ganz normaler Mensch mit Charakterfehlern plötzlich ungeahnte Kräfte bekäme, während gleichzeitig alle Leute ihn für einen Terroristen halten, der ihre Stadt verwüstet hat? Würde er seine neu gewonnene Macht dazu einsetzen, um sich den Lynchmob vom Hals zu halten, oder lieber durch ehrenvolle Taten die aufgebrachten Mitbürger von seiner Unschuld überzeugen? "inFamous" stellt den Spieler genau vor solche und ähnlich schwierige Entscheidungen, die seinem digitalen Alter Ego, Cole MacGrath, im Laufe des Abenteuers einen "berühmten" (engl. famous) oder "berüchtigten" (engl. infamous) Ruf verleihen. Elektrizität Die Geschichte von "inFamous" beginnt mit einer heftigen Explosion, die einen großen Teil von Empire City, eine fiktive Großstadt in den Vereinigten Staaten, zerstört. Viele Menschen verlieren bei diesem Zwischenfall ihr Leben, doch ausgerechnet der Mann, der sich im Zentrum der Vernichtungswelle befand, überlebt mit nur wenigen Blessuren. Cole MacGrath, ein Kurier, der zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen war, scheint Glück gehabt zu haben und besitzt seither ungewöhnliche Kräfte. Als menschlicher Kondensator und Dynamo in einer Person kann er die Elektrizität manipulieren. Darüber hinaus verleiht ihm der "Saft" aus der Steckdose derartige Vitalität, dass er wie ein Eichhörnchen auf einem Cola-Trip alle möglichen Objekte in der Stadt mühelos erklettern kann. Das Leben als edler Superheld kann also beginnen, oder? Leider hatte die zuvor erwähnte Explosion neben der Zerstörung noch weitere negative Auswirkungen, denn plötzlich bricht in Empire City eine unbekannte Seuche aus, die die Menschen wie Fliegen dahinrafft. Ehemalige Kleinkriminelle und Drogenjunkies organisieren sich plötzlich zu fanatischen Gewalttätern, die Reaper genannt werden, wobei einige von ihnen ebenfalls Superkräfte entwickelt zu haben scheinen. Die Regierung ist überfordert und verhängt eine Quarantäne, die mit militärischen Mitteln um jeden Preis erzwungen wird. Damit nicht genug die ganze Schuld am Elend seiner Mitbürger wird Cole in die Schuhe geschoben, weil ein Paket, das er während des tragischen Zwischenfalls auslieferte, für die gewaltige Explosion in der Stadt verantwortlich gemacht wird. Ein Sündenbock kommt den Medien gerade recht, so dass der ehemalige Kurier schnell als Terrorist gebrandmarkt wird. Fast alle Freunde und sogar seine Verlobte wenden sich daraufhin von Cole ab, ohne überhaupt zu hinterfragen, ob er wirklich das Blut ihrer Lieben an den Händen kleben hat. Mit solchen negativen Aussichten fällt es gleich doppelt schwer Mitgefühl und Edelmut zu zeigen. Im Angesicht dieser Krise muss Cole entscheiden, ob er sein Superhelden-Potenzial zum Wohle der ihn hassenden Gemeinschaft oder zu seinem eigenen Vorteil nutzen soll. Dabei darf er natürlich nicht seine Suche nach dem wahren Drahtzieher des Anschlags vergessen, der sein Leben so plötzlich aus der Bahn geworfen hat. Induktion Der Spieler steuert in "inFamous" das Geschick von Cole MacGrath, wobei wie in "Grand Theft Auto 4" eine ganze Großstadt zu seinem persönlichen Spielplatz wird. Allerdings hinkt der Vergleich ein wenig, weil der Protagonist auf Grund seiner einzigartigen Fähigkeiten keine Fahrzeuge benutzen kann. Die Story des Spiels liefert schon zu Beginn eine einleuchtende Erklärung: Die Benzintanks der Autos würden wegen der statischen Elektrizität ihm unter dem Hintern explodieren. Genau aus demselben Grund kann Cole auch keine Handfeuerwaffen auf Basis von Schießpulver benutzen. Glücklicherweise hat der ehemalige Kurier es nicht nötig, auf motorisierte Fortbewegungshilfe zurückzugreifen, denn schon während seines Lebens als Normalbürger war er ein begeisterter Anhänger des Parcours. Angetrieben durch seine neuen Kräfte kann Cole nun fast jedes Hindernis erklettern und dazu von Hochhäusern herunterspringen, ohne dabei einen einzigen Kratzer beim Aufprall zu kassieren. Nicht alle Fähigkeiten stehen dem Protagonisten gleich zu Beginn zur Verfügung. Logischerweise muss Cole erst den Umgang mit seinen Kräften lernen. So sammelt der Held Erfahrungspunkte, indem er Feinde zur Strecke bringt oder Neben- sowie Hauptmissionen erledigt. Für die erworbene Erfahrung kann der Spieler in einem entsprechenden Menü bereits verfügbare Talente weiter ausbauen oder neue freischalten. Während Cole zu Beginn des Abenteuers nur rudimentäre Nahkampfangriffe benutzt, Blitze schleudert und Gegner mit kurz reichenden Druckwellen durch die Gegend fliegen lässt, kann er im späteren Spielverlauf beispielsweise hochexplosive Schockgranaten werfen oder mit der aufgepowerten Druckwelle ganze Straßenzüge von Autos leer fegen. Besonders spaßig wird dann auch die Fortbewegung, wenn der Protagonist lernt, an Strom führenden Kabeln oder Schienen entlangzusurfen. Der Einsatz von mächtigen Angriffen kostet Cole Energie, die er bei einer nächstgelegenen Stromquelle wieder aufladen kann. Die frische Elektrizität bringt für den Protagonisten stets auch eine Regeneration seiner bei Kämpfen angeschlagenen Gesundheit mit sich. Ein wichtiges Element des Spiels ist der Ruf, den MacGrath im Laufe seiner Suche nach der Wahrheit erwirbt. Dabei spielen die Missionen eine bedeutende Rolle, weil sie den Spieler in kritischen Momenten oftmals entscheiden lassen, ob er rücksichtsvoll oder egoistisch vorgeht, um sein Ziel zu erreichen. Die bevorzugten Methoden sind nicht nur an dem Ruf-Meter in der linken Bildschirmecke oben ablesbar, sondern haben direkte Auswirkungen auf die Umgebung. Böse Naturen werden beschimpft sowie von der Polizei zusätzlich zu den Reapern attackiert, während das Stadtbild immer mehr verkommen aussieht. Dafür aber kann der Spieler auf einige äußerst fiese Angriffe zurückgreifen, die ihm das Vorankommen mit Gewalt erleichtern. Als kleines optisches Extra schleudert Cole als Schurke rote Blitze. Strahlende Helden dagegen werden stets von den Menschen mit Freude begrüßt und sogar aktiv um Hilfe gebeten. Die lokalen Sicherheitskräfte unterstützen ihn bei der Bekämpfung von Feinden, während in Empire City endlich Ruhe und Frieden einkehren. Jedoch muss man sich seine Kampfplätze sehr sorgfältig aussuchen, um bei den überall herumlaufenden Mitbürgern keinen Kollateralschaden zu verursachen. Vor allem Spielern, die sich der guten Seite zugewandt haben, ist es zu empfehlen, die entsprechenden Nebenmissionen zu erledigen, weil sie damit dauerhaft Stadtgebiete, in denen der Auftrag erteilt worden ist, von der Heimsuchung durch die Reaper befreien und als sichere Rückzugszone für sich beanspruchen. Leider bieten die Zusatzaufgaben auf Dauer wenig Abwechslung. Sie wiederholen sich sogar, so dass man spätestens beim zweiten Durchspielen dazu neigt, diese zu überspringen. Besonders eifrige Spieler werden in "inFamous" dazu animiert, jeden Winkel von Empire City zu erforschen, indem sie auf die Suche nach zahlreichen "Explosionsfragmenten" geschickt werden, die in vielen Häusern stecken geblieben sind, um damit Coles Energiekapazität permanent zu erweitern. Das größte Highlight eines Action-Adventures wie "inFamous" sind auf jeden Fall die fordernden Boss-Kämpfe, in denen oftmals taktisches Vorgehen wichtiger ist als rohe Gewalt. Sobald Cole den Kontrahenten erfolgreich durch einen mächtigen Elektroangriff geschwächt hat, muss er meistens mit ihm auf Tuchfühlung gehen und in einem Quicktime-Event, bei dem der Spieler die angezeigten Knöpfe betätigt, den Gegner dauerhaft verwunden. Nicht immer behält Cole die Oberhand über seine Gegner. Glücklicherweise besitzt das Spiel ein sehr schnelles Auto-Speicher- beziehungsweise -Ladesystem, das nach wenigen Sekunden den Helden an einem nicht gekennzeichneten Speicherpunkt in der Nähe dessen Todesortes reanimiert. Selbst während der Hauptmissionen hat ein falsch platzierter Sprung in einen Abgrund keine nennenswerten Folgen außer, dass man sich erneut an der Aufgabe versuchen darf. Wie inzwischen in vielen Playstation-3-Spielen sieht man in "inFamous" keine Gesundheitsanzeige in Form eines Lebensbalkens, sondern nur Blutspritzer, die auf die Richtung hinweisen, aus der der Angriff erfolgt ist. Kassiert Cole zu viele Treffer, so wird der Bildschirm immer grauer und der Ton leiser als ob man kurz davor ist, in Ohnmacht zu fallen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sollte man die nächstgelegene Steckdose aufsuchen und sich heilen. MacGraths inneres Radar weist auf Knopfdruck den Weg zu einer Energiequelle, indem auf der Minikarte am rechten unteren Bildschirmrand kurzzeitig hellblaue Blitze aufleuchten, die die Stromerzeuger repräsentieren. Explosionsfragmente lassen sich übrigens auf die gleiche Art orten. Ladungstransfer Die Steuerung des Spiels ist äußerst einfach und intuitiv. Während der linke Analogstick für die Fortbewegung zuständig ist und "X" Cole springen lässt, greift die Hauptfigur automatisch nach allen möglichen Kanten oder Seilen und erklettert so in Windeseile jedes Gebäude. Selbst auf den steilsten Vorsprüngen sowie Stromkabeln zwischen den Häusern fühlt sich das digitale Alter Ego des Spielers sicher, sodass kein weiteres Eingreifen nötig ist, um die Balance zu halten. Damit werden auch zielsichere Angriffe auf Feinde aus großer Höhe lukrativ, denn nur die wenigsten Gegner können Cole dort erreichen. Das Zielen erledigt man mit gedrücktem "L1"-Trigger sowie dem rechten Analogstick, während "R1" den Basis-Blitzangriff entfesselt. Übrigens verbraucht er im Gegensatz zu anderen Fähigkeiten keine Energie und kann daher in unbegrenztem Maße äußerst effektiv als Schnellfeuerwaffe eingesetzt werden. Die übrigen Symboltasten sowie das Steuerkreuz aktivieren die stromverbrauchenden Superkräfte des Helden, die wesentlich mehr Zerstörung anrichten als der Basisangriff. Allein die Schockgranaten sind ihren Preis wert, weil sie nicht nur viele Gegner auf einmal erledigen können, sondern auch an Personen haften bleiben und sie quasi zu einem laufenden Sprengsatz umfunktionieren. Ferner kann Cole mit seinen Fähigkeiten Leute heilen, fesseln oder ihnen sogar wie ein Vampir die elektrische Lebensenergie aussaugen. Weitere Erwähnung verdienen die "Kreis"-Taste, die den Protagonisten in Deckung hechten lässt, sowie die "Dreieck"-Taste, die für alle Interaktionen mit der Umwelt zuständig ist. Im Großen und Ganzen ist die Tastenbelegung des Playstation-3-Controllers gut gelungen. Elektromagnetismus Die optische Umsetzung von Coles Suche nach der Wahrheit ist den Entwicklern von Sucker Punch sehr gut gelungen. Obwohl sich die Spielfigur in einer riesigen Umgebung bewegt, die viele unabhängig agierende Objekte wie Bewohner, Autos und Feinde enthält, bemerkt man zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Ladezeiten. Selbst wenn Cole Blitzgewitter entfesselt, gleichzeitig Fahrzeuge mit einer Druckwelle durch die Luft schleudert und damit Gegner zerquetscht, gibt es keine Ruckler, die auf einen Einbruch der Performance hinweisen. Vor allem die Stromeffekte sind in "inFamous" schön anzusehen, die bei entsprechender Benutzung an Szenen aus dem Film "Highlander" erinnern, wie zu dem Zeitpunkt als ein Unsterblicher geköpft worden ist, und das darauf folgende Blitzspektakel ein ganzes Parkhaus voller Autos zerlegt. Die Physik des Spiels wurde ebenfalls gut programmiert, denn alle Gegenstände oder Personen fliegen oder fallen auf eine glaubwürdige Art und Weise. Übrigens bekommen die Wassereffekte in Coles Gegenwart eine ganz neue Bedeutung, die über den rein optischen Wert hinausgeht. Pfützen oder Fontänen leiten den vom Protagonisten ausgehenden Strom sogar, wenn er einfach nur hindurchläuft. Ungewollt kann man so manchen unvorsichtigen Mitbürger bewusstlos schocken. Nur gut, dass Cole auch Leute wieder heilen kann. Umgekehrt kann sich der Held auch nicht lange im knietiefen Wasser aufhalten, weil ihn sonst sein eigener Stromfluss töten würde. "inFamous" hat trotz seiner effektreichen Präsentation auch einige Designschwächen, die aber erst bei genauem Hinsehen auffallen. So besteht Empire City größtenteils aus denselben Bauelementen, die relativ häufig wiederkehren. Die Variation der Autos sowie automatisch generierter Mitbürger auf den Straßen ist sehr gering und die Gegner greifen stets nach gleicher Taktik an, wobei im späteren Spielverlauf nicht ihre Intelligenz sondern die Masse und Widerstandskraft zunimmt. Wenn man sich erst mal an die Spezialeffekte von Coles Superkräften gewöhnt hat, kann sich bei immer wiederkehrendem Stadtbild schnell die Langeweile ausbreiten. Die Trophäen, die man nach Absolvierung von einigen vorgeschriebenen Stunts erhält, helfen ein wenig, um die Langzeitmotivation des Spiels anzuheben. Leider wird auch die Story des Spiels nur in einem konzeptartigen Comic dargestellt, was in Anbetracht der technischen Möglichkeiten der Playstation 3 ein wenig billig erscheint. Donnerhall Die Musik in "inFamous" spielt eine untergeordnete Rolle, da die Spezialeffekte sehr stark in den Vordergrund rücken, denn passend zum optischen Blitzgewitter erzeugt Cole natürlich auch jede Menge Donner. Die Motive der Hintergrundmusik sind je nach Situation passend gewählt, um eine entsprechende Atmosphäre zu erzeugen. Allerdings verliert sich die musikalische Begleitung leicht im Gewirr der gegnerischen Schreie, Explosionen sowie Blitzschläge. Erfreulicherweise ist das Spiel vollständig in Deutsch durch professionelle Sprecher synchronisiert. Sogar für die Haupthandlung unwichtige Personen wie die Stadtbewohner bitten verbal den Helden um Hilfe oder beschimpfen ihn als Schurken, so dass man niemals Untertitel lesen muss. Fazit Wer sich in "Star Wars: The Force Unleashed" noch nicht genug austoben konnte, hat nun in "inFamous" die Gelegenheit dazu. Ähnlich wie mit der Macht kann der Protagonist dank seiner Superkräfte die Gegner mit Blitzen brutzeln oder mit einer Druckwelle von sich schleudern, als wären sie Staubkörnchen. Die glänzende Grafik, die gut durchdachte Physik sowie das Konzept der "Ehre" für den Helden, das sogar Auswirkungen auf die Umgebung hat, vermögen viele Spieler lange an die Playstation 3 zu fesseln. Es empfiehlt sich jedoch, ab und zu einige Spielpausen einzulegen, weil die Spezialeffekte des Spiels schnell zur Gewohnheit werden können und sich auf Grund des wiederkehrenden Stadtbilds schnell Langeweile einschleicht. Trotzdem gehört "inFamous" ohne Zweifel zu den Highlights der im Juni erschienen Spiele und ist zumindest für Fans des Action-Adventure-Genres äußerst interessant. (23.06.2009) |