The Raven: Vermächtnis eines Meisterdiebs

The Raven: Vermächtnis eines Meisterdiebs (PC)

(Nordic Games)

geschrieben von Christian Schmitz

 

   
 

 

Mit der Veröffentlichung von "Mörder und Raben" schließt sich der Kreis für die Krimi-Adventure-Trilogie "The Raven: Vermächtnis eines Meisterdiebs". Das neueste Werk von King Art wird des Vergehens beschuldigt, in fahrlässiger Art und Weise mit vielversprechenden Ambitionen umgegangen zu sein.

 

Das Vermächtnis von Agatha Christie

Im Jahr 1963 kommt es im Britischen Museum in London zu einem aufsehenerregenden Juwelenraub: Eines der beiden sogenannten "Augen der Sphinx" wurde gestohlen. Am Tatort findet man eindeutige Hinweise auf die Rückkehr des legendärsten Kunstdiebs dieser Zeit, dem Raben, von dem die Allgemeinheit jedoch annahm, dass er Jahre zuvor von Sonderermittler Inspektor Nicolas Legrand erschossen worden ist. Doch ein Umstand macht stutzig, denn der neue Rabe geht ungewohnt brutal zu Werke und nimmt im Gegensatz zur altbekannten Vorgehensweise sogar Verletzte wie Tote billigend in Kauf. Es nützt alles nichts: Der Gauner muss gefasst werden, am besten mit einer Lockfalle, nämlich dem zweiten "Auge der Sphinx".

In der Uniform des kauzigen Wachtmeisters Anton Jakob Zellner unterstützt man auf dem langen Zugweg durch Europa Inspektor Legrand sowie den mürrischen Konstabler Robert Oliver bei diesem riskanten Vorhaben. Der Gauner könnte sich nämlich unter die Fahrgäste geschlichen haben. Infrage könnten der österreichische Geigenvirtuose Kreutzer kommen; aber auch Doktor Gebhardt macht sich genauso verdächtig wie Baronin von Trebitz mit ihrem Butler Mr. Inch. Und was macht Professor Lucien eigentlich so unruhig? Die Schriftstellerin Lady Westmacott samt Begleitung Miss Miller sowie ihrem Lausbub Matt sind da eine willkommene Abwechslung zu allen Verdächtigen.

Nach den nervenaufreibenden Vorkommnissen auf den Schienen steht an Bord der MS Lydia die Überfahrt nach Kairo an. Hier überschlagen sich plötzlich die Ereignisse: Ein Mord erschüttert die gesamte Besatzung und Zellners Nachforschungen erscheinen wichtiger denn je. Der Täter muss sich unter den anwesenden Passagieren befinden. Doch ehe der Wachtmeister den Fall komplett aufklären kann, wechselt das Geschehen in der Folge völlig unerwartet zu zwei anderen spielbaren Figuren - den vermeintlichen Komplizen des Raben. Nacheinander fügen sich alle Puzzleteile bis zum Finale in Kairo zusammen und die mit Herrn Zellner erlebten Schlüsselszenen werden aus einer anderen Perspektive erzählt. Die Sympathiewerte des Wachtmeisters erreichen die Gegenspieler jedoch zu keinem Zeitpunkt.

Was insbesondere in der ersten Episode, "Das Auge der Sphinx", noch so großartig funktionierte und im Nachfolger "Wiege der Täuschung" bereits eingesetzt hatte, wird mit dem Abschlussdrittel "Mörder und Raben" leider bittere Wahrheit: Das insgesamt zehnstündige Katz- und Mausspiel verkommt nach hervorragendem Beginn immer mehr zu einem von langer Hand geplanten Missverständnis inklusive haarsträubender Auflösung. Das ist schade, denn das Entwicklerteam hat sich mit interessanten Figuren, vielen Zwischensequenzen und erfreulich gut geschriebenen Dialogen sichtlich Mühe gegeben, ihren Kriminalfall atmosphärisch dicht zu vermitteln. Ein schleichender Qualitätsverlust war jedoch schon unmittelbar nach dem Wechsel des spielbaren Charakters während der zweiten Episode wahrnehmbar. Genau ab diesem Zeitpunkt verlieren auch andere beteiligte Personen ihre Daseinsberechtigung. So gut und liebevoll sie anfänglich in die Handlung integriert worden sind, so achtlos und ignorant werden sie wieder hinausbefördert.

 

Einfach zu einfach

In demselben Maße lässt das Point-and-Click-Adventure spielerisch Federn, weil auch hier die erste Hälfte auf ganzer Linie überzeugt und anschließend qualitativ kontinuierlich abbaut. Die Steuerung funktioniert dank intelligenten Mauszeigers einfach, um Aktionen wie Betrachten, Benutzen, Nehmen, Reden und Kombinieren intuitiv auszuführen. Als Herr Zellner fühlt sich der Spieler als waschechter Detektiv, der nicht nur einen Diebstahl verhindern, sondern durch die Ereignisse sogar einen Mordfall mit vielen Verdächtigen aufklären soll. Hierzu notiert er sich anhand von Beobachtungen und Gesprächen mit den anderen Charakteren wichtige Erkenntnisse und Notizen in sein Tagebuch, das in den ersten Spielstunden gelegentlich bei der Lösung von Rätseln hilft. Ab der zweiten Spielhälfte verkommt dieses Utensil nur noch zum überflüssigen Beiwerk.

Als spaßig erweisen sich eingestreute Minispielchen, wie beispielsweise das Schlossknacken. Von diesen gelungenen Einlagen hätte man sich noch mehr gewünscht. Insgesamt fehlt es "The Raven" an mehr Interaktionsmöglichkeiten und Inventargegenständen, um Fortgeschrittenen wie Profis spielerischen Anspruch zu bieten. Durch diese Umstände kommt es selten zu Unterbrechungen des Spielflusses und macht das Abenteuer wegen der einfachen Rätsel insbesondere für Einsteiger erfreulich zugänglich. Die Knobeleien bleiben bis auf wenige Ausnahmen jederzeit logisch nachvollziehbar. Zu den Abweichungen zählt beispielsweise das plötzliche Wiederauftauchen oder Wegfallen von Objekten im Inventar, sei es nun ein nützliches Taschenmesser oder der Tennisball im Maul eines Hundes, der sich ohne dessen Zutun wieder im Besitz der Spielfigur befindet.

 

Schön auf der falschen Fährte

Technisch präsentiert sich "The Raven" durchwachsen, was Auswirkungen auf das Schlussplädoyer hat. Unschön sind immer wieder auftretende Bugs, Animationenaussetzer, Clipping-Fehler oder Glitches, was speziell im Schlusskapitel zum permanenten Ärgernis wird. Spielfiguren bleiben entweder in der Spielumgebung hängen, legen währenddessen staksige Moonwalks á la Michael Jackson hin, drehen wie im Ballett Pirouetten um die eigene Achse, lösen sich komplett in Luft auf, bewegen sich ohne sichtbaren Widerstand durch unbeteiligte Personen hindurch oder teleportieren plötzlich meterweit vom Aktionspunkt weg. Ein ganz anderes Bild zeichnen hübsche Schauplätze wie der fahrende Zug vor einem beeindruckenden Naturpanorama oder das Kreuzfahrtschiff MS Lydia auf hoher See mit ihren wunderschönen und detaillierten Umgebungen. Das Gesamtwerk wird lediglich vom gespenstig wirkenden, menschenleeren Kairo wieder verschlechtert. Die Szenerie könnte insgesamt noch etwas abwechslungsreicher sein, denn - man ahnt es schon - nach der Hälfte des Abenteuers hat man bereits sämtliche Schauplätze begutachtet, die in der Restzeit recycelt werden. Gut gelungen sind wiederum die Figuren, die mit nachvollziehbarer Gestik sowie Mimik überzeugen.

 

Das kann sich hören lassen

Dass regelmäßig verschiedenste Soundeffekte ausfallen und Figuren vereinzelt mit Hall-Effekt völlig unverständlich vor sich her schwadronieren, kann dem guten akustischen Eindrücken nur gering schaden. Neben den passenden Musikstücken von Benny Oschmann, die man sich unbedingt als Bonus in Hauptmenü ansehen und anhören sollte, überzeugt die komplette Sprechergarde auf ganzer Linie. Peter Groeger (u. a. Dr. Nefario in "Ich - einfach unverbesserlich"), Nana Spier (Sarah Michelle Gellar "Buffy") und Kim Hasper (Jim in "American Pie") leihen den spielbaren Charakteren ihre professionelle Stimme und treffen wirklich jeden Ton. Treffend sind ebenso die vielen Akzente, etwa Wiener Schmäh vom österreichischen Geiger Herr Kreutzer oder der italienische Dialekt von Schiffskapitän Conti.

 


Fazit

"The Raven - Vermächtnis eines Meisterdiebs" ist des Vergehens überführt, sein erzählerisches wie spielerisches Potenzial nach der tollen Anfangsepisode nicht mal ansatzweise ausgeschöpft zu haben. Vor allem spielerisch bewegt sich der Titel nach dem Charakterwechsel im zweiten Akt mit seinen uninspirierten, inkonsequenten und viel zu leichten Pflichtaufgaben am Rande des Totalausfalls. Außerdem nerven technische Unzulänglichkeiten, Bugs und Grafikfehler insbesondere während des Schlussakts. Bessere Alternativen sind u. a. die Genrevertreter von "Geheimakte" oder "Memento Mori". Knallharte Fans von Agatha Christies Werken können trotz aller Inkonsequenzen und Fehlern einen Blick riskieren.
(04.10.2013)


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