Silent Hill: Downpour (PS3) (Konami) geschrieben von Pavel Girard
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"Silent Hill" gehört neben "Resident Evil" zu den erfolgreichsten Serien des Survival Horror-Genres, das Ende der Neunziger Jahre konkurrenzlos über die Horrorspielwelt herrschte. Heute jedoch ist es aufgrund seiner Altbackenheit in Sachen Steuerung und Spielfluss eher verschrien und in der modernen Videospielwelt kaum noch präsent. Ausnahme: das kürzlich erschienene Download-Spiel "Amy", das aus ebendiesen Gründen in den Medien auf mäßige bis katastrophale Resonanz stieß. Das Genre hatte seinen Zenit schnell erreicht und mit einer Übersättigung durch unzählige "Resident Evil"-Klone ging eine spürbare Stagnation einher. Publisher Capcom konterte ihr 2005 mit dem actionlastigen "Resident Evil 4", schaffte damit haarscharf den Sprung in die Moderne, und das auch noch mit unglaublichem Erfolg. "Silent Hill" jedoch dümpelte über Jahre hinweg mit aufgewärmten Rezept und Innovationsarmut dahin. Lediglich "Shattered Memories" (2009) warf einige Konventionen über Bord, in dem es gänzlich auf Kämpfe verzichtete und seinen Fokus auf die Flucht vor den Gegnern legte. Erfolgreich war es damit jedoch nicht. Jetzt versucht der tschechische Entwickler Vatra Games mit einem ebenfalls radikalen Feature, "Silent Hill" wieder zu einem relevanten Videospiel zu machen: Er verlegt es kurzerhand in eine Open-World-Umgebung. Kann das gut gehen? Auf der Flucht Die Geschichte von "Downpour" ist schnell erzählt, denn sie erreicht bei Weitem nicht die Komplexität einiger seiner Vorgänger, wie etwa dem psychologisch hochinteressanten zweiten Teil. Protagonist ist der Sträfling Murphy Pendleton, dessen Gefängnistransport nahe der Geisterstadt Silent Hill verunglückt. Auf der Flucht vor dem Gesetz in Person einer zielstrebigen Polizistin macht er sich auf in das Stadtzentrum, um von dort weiter nach einem Ausweg zu suchen. In Silent Hill gerät sein Vorankommen jedoch durch mysteriöse Wetterverhältnisse, zwielichtige Gestalten, die ihn in verwirrende Gespräche verwickeln, und furchtbare Monster ins Stocken. Außerdem gibt es da noch ein düsteres Ereignis in Murphys Vergangenheit, das ihn anzutreiben scheint und das dem Spieler erst in Rückblenden nach und nach offenbart wird. Die bunte Tüte Der Spieleinstand erweckt durch audiovisuelle Zitate der Vorgänger zunächst den Anschein, dass man es wieder mit einem üblichen Teil der Serie zu tun hat. Nachdem man einen nebligen Tannenwald ("Silent Hill 2"), durchquert hat, klingt an einer verlassenen Tankstelle leise eine bekannte Melodie an. Wenig später findet sich auf dem Dach eines Gebäudes ein Rollstuhl mit sich noch drehendem Rad ("Silent Hill 3"). Doch schnell wird klar: Das Gameplay von "Downpour" unterscheidet sich in vielen Belangen grundlegend von dem der vorigen Titel, das auf einen simplen Wechsel von Rätsel- und Kampfsequenzen beschränkt war. Im neusten Teil jedoch gesellt sich nahezu jedes Spielelement hinzu, das man aus zeitgenössischen Videospielen kennt: Man überquert Abgründe, in dem man mit dem Analogstick die Balance hält und trifft per simplen Knopfdruck schwere moralische Entscheidungen. Es gibt eine Schnellheilungsfunktion, einen Schnellzugriff auf das Inventar und Quick-Time-Events. All diese Elemente sollen das Spiel abwechslungsreich und vor allem zugänglicher machen, damit auch die breite Masse wieder aufhorcht. Manchmal freut man sich über diese Änderungen, manchmal wirken sie etwas aufgesetzt. Das bemerkenswerteste Novum ist aber das Open-World-Feature, das man aus Spielen wie "Grand Theft Auto" oder "Just Cause" kennt. Auf den Straßen, meist aber in den Gebäuden, kann man optionale Nebenmissionen auslösen, die am Bildschirmrand aufpoppen und in einem Tagebuch festgehalten werden. Hier findet man auch Hinweise für die Rätsel, Zusammenfassungen der Geschichte und die obligatorische Stadtkarte. Das ständige Umblättern der Seiten ist oft aber eher verwirrend als erhellend. Das ändert aber nichts daran, dass die meisten der Nebenmissionen erfreulich originell ausgefallen sind. In einem Apartmentkomplex darf man den verschwundenen (oder verstorbenen?) Bewohnern ihre Besitztümer zurückbringen, die ein diebischer Nachbar entwendet hat. Oder ein Filmprojektor in einem alten Kino will mit Filmen befüllt werden. Die anschließend ausgestrahlten Filmfetzen können über die Kinoleinwand, die auch als Portal dient, betreten werden. Dort sucht man nach weiteren Items, um den Strom im Gebäude wiederherzustellen. Oft erstrecken sich die Aufträge über das komplette Stadtgebiet, was zu dessen Erforschung einlädt. Nur selten bleibt es generisch, wie etwa, wenn man in einer Bank eine Gegnerwelle überstehen oder in der Stadt verstreute Vogelkäfige finden muss. Trifft man beim Herumstreunen auf Feinde, macht sich das neue Kampfsystem bemerkbar, das mit einer leichten und einer schweren Attacke plus Konter ebenfalls unkompliziert ausfällt. Der Taktikhauch von "Homecoming" wurde gestrichen. Die Kämpfe sind zwar einfach gehalten, ab dem normalen Schwierigkeitsgrad aber keineswegs einfach zu überstehen, denn die aggressiven Gegner können einen betäuben oder durch schiere Überzahl überrumpeln. Das Gegnerdesign ist völlig umgekrempelt worden, die Monster in "Downpour" sehen nun eher wie von Dämonen besessene Menschen aus, als wie die missgestalteten Wesen zuvor. Stark verändert hat sich auch die berühmt-berüchtigte "Otherworld", die seit Teil eins mit an Bord ist. Diese bricht weitaus seltener über die Spielwelt herein und ist meist gekoppelt an das Auftreten eines mysteriösen Wirbels, vor dem man davonlaufen muss. Wie in "Shattered Memories" kann man ihm Gegenstände in den Weg werfen, um ihn zu verlangsamen. Diese Sequenzen schrauben nicht nur das Spieltempo enorm hoch, sondern auch den Puls des Spielers, der in Panik aufschreit wie Spielfigur Murphy selbst. Einmal spülen, bitte Eine weitere Stärke des Spiels ist ein bisher nie gekannter Detailreichtum. Während der letzte Teil "Homecoming" etwas steril daherkam, sind in "Downpour" die Straßen und vor allem die Gebäude übersät mit Unrat und anderen Relikten der früheren Bewohner. Zudem sind viele der Gegenstände interaktiv, so kann man etwa Fernseher und Radios an- und ausschalten, Schränke öffnen und die Klospülung bedienen. All das hat zwar keinen direkten Nutzen, trägt aber dazu bei, die Spielwelt lebendiger und realistischer erscheinen zu lassen. Auch die visuellen Experimente, die "Silent Hill" immer ausgezeichnet haben, sind wieder da, wie eine scheinbar endlose Treppe, bei der man sich durch die verzerrte Perspektive nicht sicher ist, ob man sie hinab- oder hinuntersteigt. Oder etwa ein überdimensionales Uhrwerk, in dem man über riesige Zeiger balanciert. Auch die generelle Levelauswahl ist erfrischend, auf seinem Weg in die Freiheit wird Murphy unter anderem eine verlassene Mine, einen Radiosender und eine Bibliothek durchqueren müssen. Aber auch altbekannte Szenarien tauchen auf, wie ein Gefängnis oder ein Waisenhaus. Fazit Im Horrorgenre ist, unabhängig vom Medium selbst, eine der sichersten Methoden, Angst zu erzeugen, die Geschichte in einem begrenzten Raum spielen zu lassen. Survival Horror-Spiele machen dies seit jeher, wie im Falle des Herrenhauses in "Resident Evil". Der Film "Buried" spielte sogar ausschließlich in einem Sarg unter der Erde. In beiden Fällen sorgt dies für ein erhebliches Maß an Beklemmung. "Silent Hill Downpour" geht diesen vermeintlich sicheren Weg nicht und transportiert die Reihe als Teil ihres Modernisierungskonzeptes in ein Open-World-Szenario. Leider geht dadurch in der Tat ein Großteil der unheimlichen Atmosphäre verloren, zumindest in den Abschnitten, in denen der Spieler auf den Straßen Silent Hills unterwegs ist. Zum Glück gewinnt das Spiel dafür in den viel düstereren und beengteren Gebäudebereichen wieder an Spannung, nicht zuletzt durch die Fluchtsequenzen, die beim Spieler zuverlässig für Panik sorgen. Und die neuen Nebenmissionen schaffen tatsächlich eine Abwechslung, wie man sie in Silent Hill vorher nicht kannte. "Silent Hill Downpour" wirkt durch diese Zweigeteiltheit zwar nicht mehr so homogen und künstlerisch wie seine Vorgänger, beeindruckt aber durch seinen Mut, Gameplay-Neuland zu betreten. Man darf also gespannt sein, was als nächstes kommt. (30.05.2012) |