Guild Wars 2 (NCsoft) geschrieben von Witali Blum
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Da das Genre der massiven Mehrspieler-Onlinerollenspiele (MMORPG) zurzeit einer Stagnation unterliegt, wagen sich immer weniger Entwickler an die schwierige Aufgabe, einen neuartigen Titel für diese Sparte zu produzieren. Umso erfreulicher ist die Nachricht, dass die Spieleschmiede ArenaNet nicht aufgehört hat, ihr bestes Rennpferd im Stall namens "Guild Wars", das zunächst nur als ein kooperatives Computerspiel bezeichnet worden war, weiterzuentwickeln, sodass es nun offiziell als zweiter Teil mit neuen Inhalten und vielen Extras erscheint. Lesen Sie im folgenden Test, warum der Titel durchaus das Potenzial hat, dem Platzhirsch "World of Warcraft" zahlreiche Kunden abzujagen. Erzähl mir eine Geschichte Beim Stichwort MMORPG denken Kenner des Genres oftmals an eine monatliche Grundgebühr, die entweder über die Kreditkarte oder Lastschrift vom Konto abgebucht wird. Meistens begründet der Publisher den Obolus mit Personal- sowie Serverbetriebskosten. Abnehmende Kundenzahlen haben jedoch zu einem Umdenken in der Branche geführt, denn inzwischen gibt es zahlreiche Titel, die prinzipiell keine zusätzliche Bezahlung fordern. Geld wird nur für sogenannte Premiuminhalte verlangt. Damit die Leute nicht allzu sehr spüren, wie viel sie für ein scheinbar kostenloses Spiel ausgeben, kassiert der Anbieter über den Zwischenweg einer Tauschwährung wie etwa "digitale Edelsteine", die nur äußerst selten beim Zocken angehäuft werden können. "Guild Wars 2" geht in dieser Hinsicht einen guten Mittelweg, denn das Spiel selbst kostet genauso viel wie manche andere namhafte Einzelspielertitel, kann aber ebenso wie die pseudo-kostenlose Konkurrenz mit Premiuminhalten aufwartet, die aber auch in der digitalen Welt relativ einfach zu finden sind. Wem die Geduld zur Suche fehlt, der darf alternativ gegen Spielgold oder auch echtes Geld die Extras erwerben. Insgesamt haben Zocker mit einem dicken Geldbeutel bei diesem Titel nur geringfügige Vorteile gegenüber Normalspielern, die sich im weiteren Spielverlauf nahezu ausgleichen. Die allgemeine Hintergrundgeschichte von "Guild Wars 2" ist nicht unbedingt innovativ, denn wie in vielen Titeln zuvor bedrohen wiedererwachte Drachen die Welt Tyria. Während sich die Menschen im ersten Teil hauptsächlich gegen fremde Völker wappnen mussten, stehen nun fast alle ehemaligen Widersacher auf derselben Seite. Allerdings erkennen nicht alle Kreaturen den Ernst der Lage und führen weiterhin interne Kämpfe. So kommt es, dass jedes Volk auch noch eine "böse" Fraktion hat, die ihre eigenen Ziele verfolgt. Viel spannender dagegen ist die persönliche Hintergrundgeschichte, die der Spieler mit seinem Charakter erlebt. Bei der Erstellung des digitalen Alter Egos beantwortet man ein paar Fragen, die die anfänglichen Rahmenbedingungen für das eigene Abenteuer festlegen und derartig vielfältig sind, dass die Wahrscheinlichkeit, zwei Figuren mit der gleichen Lebensgeschichte anzutreffen, ziemlich gering ist. Weitere Entscheidungen entlang der Hauptstory liefern nicht nur ein einzigartiges Erlebnis, sondern beeinflussen auch deutlich sichtbar die Ereignisse in Tyria. Rollenspiel ist folglich ein wichtiger Bestandteil von "Guild Wars 2", der in anderen MMORPGs allzu oft vernachlässigt wird. Aller Anfang ist schwer Während der Spiele-Client sich über die Breitband-Internetverbindung aktualisiert, sollten Spieler sich Gedanken darüber machen, welches Volk und vor allem welche Klasse sie spielen möchten, denn die Auswahl ist ziemlich groß. Die spielbaren Nationen sind die löwenähnlichen Charr, die elbenhaften Sylvari, die goblin-ähnlichen Asura, die nordischen Norn sowie die vielseitigen Menschen. Jede Rasse besitzt einzigartige Fähigkeiten, sodass man sich gut überlegen sollte, welche davon zum gewünschten Spielstil passt. Umso schwerer fällt die Entscheidung für eine der acht möglichen Klassen. Der Elementarmagier hetzt die Gewalten von Feuer, Wasser, Luft und Erde auf seine Feinde. Der Nekromant benutzt Flüche sowie Todesmagie, während seine Untoten die Gegner ablenken. Der Mesmer verwirrt seine Opponenten mit Illusionen, von denen einige aber durchaus reale Schäden verursachen. Waldläufer rufen ihre Tiergefährten zu Hilfe und beharken ihre Ziele aus großer Entfernung mit einem Pfeilregen. Kämpfer machen ihrem Namen alle Ehre, indem sie an vorderster Front mitmischen. Wächter dagegen denken auch an ihre Verteidigung sowie die Unterstützung der eigenen Gefährten. Diebe bewegen sich hauptsächlich in den Schatten, um dann plötzlich mit kritischen Angriffen aus dem Hinterhalt zuzuschlagen. Der Ingenieur ist ein Tausendsassa, der mit allerlei technischem Spielzeug das Schlachtfeld kontrolliert. Für den aktuellen Test ist ein Asura-Ingenieur als Charakter erstellt worden, weil diese Kombination aus wissenschaftlich orientiertem Volk zusammen mit der Liebe zur Technik naheliegend erscheint. Wie in "Die Sims" kann man das Aussehen seiner Figur individuell gestalten, wobei das Erscheinungsbild der Asura etwas an "Stitch" aus Disneys Zeichentrickfilm "Lilo und Stitch" erinnert. Die Fragen zur Herkunft und Ausbildung sind schnell beantwortet. Am längsten dauerte im Test übrigens die Wahl eines coolen Namens, weil die meisten guten Benennungen bereits vergeben waren. Nach einer kurzen Ladezeit kann es schon losgehen. Die Spielfigur beginnt ihr Abenteuer in einer Stadt, die von außer Kontrolle geratenen Robotern den Golems heimgesucht wird. Ein Hinweistext erklärt Anfängern die Grundlagen der Steuerung, jedoch bleibt nur wenig Zeit ihn zu lesen, weil meistens andere Spieler, die sich im Kampf mit den mechanischen Kreaturen befinden, die Schlacht ohne jegliche Rücksicht zu den Neulingen tragen. Zum Glück sind die ersten Gegner keine nennenswerte Bedrohung. Dafür erkennt man schnell, dass mit zunehmender Kampferfahrung zu den ersten drei Angriffsfähigkeiten, die über die Zahlentasten aktiviert werden, zwei weitere hinzukommen. Darüber hinaus ändern sich die Skills automatisch mit der aktiven Waffe. Das ist nur logisch, denn ein Gewehr lässt sich anders bedienen als eine Pistole und dementsprechend müssen andersartige Kombinationen möglich sein. Nach den ersten Gefechten verspürt man schnell die Lust, mehr von Tyria zu sehen und wagt sich aus der Stadt hinaus. Noch ist die lokale Fauna vergleichsweise friedlich. Es gibt keine Kreaturen mit einem roten Namen, die den Spieler aggressiv angreifen würden, sobald er in ihre Nähe kommt. Dementsprechend kann man sich Zeit lassen, um die wunderschöne Landschaft und die prächtigen architektonischen Bauwerke zu bewundern. Die Dimensionen und die Detailtiefe der Umgebung lassen sich mit "Final Fantasy XIV" vergleichen. Doch während dieser Titel nur rein äußerlich eine gute Figur gemacht hat, bietet "Guild Wars 2" auch noch spielerische Tiefe. So sind auf jeder Spielkarte zahlreiche Aussichtspunkte über schwieriges, meistens sehr hoch gelegenes Gelände zu erreichen. Wer die Mühe auf sich nimmt, die Gipfel zu erstürmen, wird mit Erfahrungs- sowie Karmapunkten belohnt. Während Erstere bei einer bestimmten Anzahl, den Charakter eine Stufe aufsteigen lassen, seine Basiswerte verbessern und zusätzlich Skillpunkte bringen, die man in einzigartige Fertigkeiten investieren darf, dienen die Letztgenannten neben Gold oder Edelsteinen als Sonderwährung für besondere Gegenstände, die bei bestimmten Nichtspielercharakteren (NPCs) erworben werden können. Darüber hinaus erhält der Spieler ab Level 11 Spezialisierungspunkte, die den bevorzugten Kampfstil der eigenen Figur weiter unterstützen. So kann man den Ingenieur beispielsweise zu einem fiesen Bombenleger ausbilden, dessen Kreationen Zerstörung auf großen Flächen anrichten. Es ist übrigens auch möglich, die Expertise auf einen anderen Schwerpunkt zu legen, indem man bei einem besonderen NPC seine vorherige Entscheidung wieder rückgängig macht. Natürlich bringen erlegte Monster ebenfalls Erfahrungspunkte, doch im Vergleich zu anderen Titeln, sind diese von der Menge her schon fast vernachlässigbar. Nur wenn man Glück hat, findet sich ein "alter" Gegner, der von allen anderen Mitspielern über mehrere Stunden ignoriert worden ist, und im Laufe seiner Lebenszeit Weisheit angehäuft hat, die nun seinem Mörder zugutekommt. Viel besser ist es, sich an den dynamischen Ereignissen zu beteiligen, die überall auf Tyria stattfinden. Dabei handelt es sich um eine Art Nebenquest, das auf dem Bildschirm des Spielers angekündigt wird, sobald er sich in der Nähe des entsprechenden Ereignisortes befindet. Es ist nicht nötig, einen entsprechenden Auftrag bei einem NPC einzuholen, sondern man kann direkt in dem Gebiet, das auf der Minikarte eingekreist wird, mitmischen. Manchmal will ein Dorf verteidigt, entflohene Experimente sollen eingefangen oder im Extremfall ein Bossgegner erlegt werden die Vielfalt der Quests ist groß und bietet viel Abwechslung. Zur Belohnung winken neben einer beachtlichen Anzahl an Erfahrungs- sowie Karmapunkten auch noch Gold oder seltene Gegenstände. Darüber hinaus beeinflusst der Spieler mit dem Erfüllen der Missionen ebenso wie Scheitern an diesen Herausforderungen das äußere Bild der digitalen Welt. Verlorene Gebiete wirken beispielsweise finsterer und es treiben sich gefährlichere Feinde darin rum, doch wenn sie zurückerobert werden, erscheinen freundlich gesinnte NPCs, die den Kampf gegen weitere Gegner aufnehmen oder den Spieler mit käuflich erwerblichen Waren versorgen. Wer die persönliche Hintergrundgeschichte seines Charakters weiter voranbringen möchte, braucht nur der entsprechenden Markierung auf der Minikarte zu folgen. Neben den üblichen üppigen Belohnungen warten vor allem informative oder einfach witzige Dialoge der Spielfigur mit den (selbst)-ernannten Helden Tyrias. So eine erzählerische Tiefe bieten nicht einmal die Entwickler von Blizzard Entertainment in "World of Warcraft", die mit der Abonnementgebühr eigentlich die Mittel zu so einer detaillierten Umsetzung der Hintergrundstory hätten. Alternativ zu Missionen beschert auch das Handwerk den Spielfiguren in "Guild Wars 2" Erfahrung. Zwei Berufe, zu denen übrigens das Rohstoffsammeln nicht zählt, können immer aktiv genutzt werden. Gegen einen Obolus, der mit zunehmendem Fortschritt im jeweiligen Berufszweig zunimmt, ist jederzeit ein Karrierewechsel möglich. Richtig viele Boni bringen aus unterschiedlichen Zutaten neu entdeckte Rezepte. Praktischerweise verschwendet man beim Experimentieren mit Ingredienzien keine Rohstoffe, weil einerseits der aktuelle Handwerkslevel die verwendbare Auswahl einschränkt und andererseits beim Aktivieren des ersten Materials nur noch die zur Kombination sinnvollen Mittel verbleiben. Auf den ersten Blick scheint "Guild Wars 2" stark auf Einzelspieler ausgelegt zu sein, doch dieser Eindruck täuscht, denn die Schwierigkeit der Gefechte bei den dynamischen Ereignissen sowie die erhaltene Belohnung skalieren mit der Anzahl der beteiligten Spieler und ihrem jeweiligen Beitrag zum Sieg. Wer sich beispielsweise nur abseits hält und gelegentlich nahezu besiegte Monster erledigt, wird weniger belohnt als diejenigen Spieler, die an vorderster Front gemeinsam mitmischen oder viele Verbündete heilen. Zusätzlich gibt es sogenannte "World-versus-World"-Schlachtfelder, auf denen die Bewohner zweier Server in einer epischen Schlacht gegeneinander antreten, um als Sieger für eine Weile von einigen Boni profitieren zu können. Damit die Karten zu Beginn des Gefechts gleich verteilt sind, werden alle Charaktere in diesen Kampfgebieten auf den Maximallevel gesetzt, sodass letztendlich nur das spielerische Können sowie das sinnvolle taktische Vorgehen über Sieg oder Niederlage entscheiden. Zu den Aufgaben auf den Schlachtfeldern gehören beispielsweise das Sichern der Nachschubrouten, die Reparatur und Aufstellung von etwaigem Belagerungsgerät und schließlich der Sturm auf die feindliche Festung. Dabei hat sich gezeigt, dass Stoßtrupps aus Gildenmitgliedern meist am effektivsten kämpfen, weil sie sich untereinander absprechen und motiviert sind, Ruhm für ihre Gilde in direkter Währung als Karmapunkte zu verdienen. Selbst die besten Zocker ereilt irgendwann der digitale Tod, sei es durch einen übermächtigen Endboss oder schlichtweg einen freien Fall in einen tiefen Abgrund. Zum Glück ist das Ableben nicht endgültig, denn es gibt mehrere Möglichkeiten, das Abenteuer putzmunter fortzusetzen. Die eleganteste und vor allem sozialste Lösung ist ein Mitspieler, der die Tragödie beobachtet hat und nun freundlicherweise die am Boden liegende Gestalt wieder reanimiert. Dafür bekommt der gute Samariter Erfahrungspunkte sowie eventuell ein Geschenk vom erretteten Opfer. Allzu häufig ist jedoch der Tod eine einsame Angelegenheit, sodass der Proband wohl oder übel am letztbesuchten Teleportationspunkt wiederbelebt werden muss. Als Malus wird dann eines seiner Ausrüstungsteile beschädigt. Prinzipiell ist dies noch kein Problem, zumal in jedem Dorf ein Schmied die Sachen reparieren kann. Erst wenn die gesamte Ausrüstung defekt ist, zeigen sich starke Abzüge in den Statuswerten der Spielfigur, die ein sinnvolles Weiterspielen stark behindern. Leider gibt es auch einige Kritikpunkte an "Guild Wars 2", die nicht unerwähnt bleiben sollten. Zum einen könnten einige Spieler daran Anstoß finden, dass viele Elemente des Handwerks- sowie Handelssystems optisch sowie inhaltlich stark an die Titel "League of Legends" oder "Runes of Magic" erinnern und nicht wirklich innovativ zu nennen sind. Darüber hinaus nervt manchmal die Tatsache, dass höherstufige Charaktere, die gelegentlich in Anfangsgebieten unterwegs sind, in ihrem Level herunterskaliert werden, obwohl sie nur auf Durchreise sind. Zwar erhöht sich dadurch die Wiederspielbarkeit mit derselben Spielfigur, doch dafür ist es dann nicht mehr möglich, schnell ein Gebiet zu durchqueren, weil man ständig in Gefechte mit der feindlich gesinnten Fauna verwickelt wird, die nicht einfach ignoriert werden kann. Ferner wird in einigen Foren berichtet, dass gelegentlich Programmfehler auftreten, die typischerweise entweder einen Charakter festsetzen oder einen bestimmten Zielort meistens einen Aussichtspunkt nicht erreichen lassen. Die Entwickler arbeiten jedoch ständig daran, diese Unstimmigkeiten zu beheben, was vor allem an der regen Häufigkeit der Spieleclient-Updates ersichtlich ist. Zielvisier Das optische Design von "Guild Wars 2" wird von den Entwicklern im zugehörigen Deluxe-Edition-Informationsbuch als "einzigartig" angepriesen, doch erfahrene Zocker erkennen deutlich, dass das Spiel sich auch bei der Konkurrenz bedient hat. So erinnert das detaillierte Charakterdesign mit glänzenden Rüstungen und unheilverheißenden Waffen an "Lineage II", während die prächtige Architektur der Bauwerke aus "Final Fantasy XIV" stammen könnte. Darüber hinaus umfasst Tyria ähnlich große Areale wie "World of Warcraft", die Neugierige auf Entdeckungsreise einlädt. Man könnte die Liste beliebig fortsetzen, denn "Guild Wars 2" ist eher als ein Schmelztiegel zu betrachten, in dem nur das Beste aus vielen Konkurrenzprodukten gelandet und zu einer vollwertigen Legierung verarbeitet worden ist. Vor allem Besitzer von High-End-Computern werden am Spiel ihre Freude haben, weil der Titel alle Features einer mächtigen Grafikkarte ausnutzt und dementsprechend optisch glänzt. Donnerbüchse Die Soundkulisse von "Guild Wars 2" erreicht ein meisterhaftes Niveau, denn neben einem hervorragenden Soundtrack bietet der MMORPG-Titel zumindest in der Hauptquest durch professionelle Synchronsprecher vertonte Dialoge anstelle der aus anderen Titeln gewohnten Textboxen. Es ist äußerst selten, dass für ein Einzelpreis-Spiel i. e. kein Abonnement ein solcher Aufwand betrieben wird, nur um den Aspekt des Rollenspiels stärker zu betonen. Das Sahnehäubchen ist jedoch die Tatsache, dass alle Texte, ob abgebildet oder ausgesprochen, in der deutschen Version derartig fehlerfrei übersetzt worden sind, dass selbst Wortwitze und ähnliche Albernheiten sinngemäß übertragen worden sind. Hut ab!
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