Eine ganze Generation kennt es noch, das verstohlene Fragen nach indizierten Spielen, meist sogenannten Ego-Shootern: Spiele mit wenig Tiefgang, viel Action und überbordender Gewalt. Titel, die Horden von Müttern gegen das Böse in Form von Videospielen aufbrachten und dennoch eine starke Faszination auf unzählige Menschen ausübten.
Wolfenstein: The New Order will an diese Zeit anknüpfen. Eine Zeit, in der Selbstheilung noch in weiter Ferne lag und das Tragen von mindestens sechs Gewehren, Pistolen und Raketenwerfern zum kleinen Einmaleins guter Actionhelden gehörten. Nur mit zwei Waffen und einem Messer gegen die Bösen ins Feld zu ziehen, war damals einfach langweilig. Ob dem brachialen Shooter der Spagat zwischen neuester Technik und klassischem Gameplay gelungen ist, soll dieser Test klären.
Es war einmal
Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg. Ähnlich wie der Film "Vaterland" stellt Wolfenstein die Frage, was passiert wäre, wenn die Geschichte zu diesem kritischen Zeitpunkt anders verlaufen wäre?
Das man dabei in der deutschen Version von Wolfenstein nicht gegen Nazis, sondern “Das Regime“ antritt, ist klare, dem Gesetzgeber geschuldete, Augenwischerei. Die Debatte über Sinn und Unsinn dieser Regelungen hin oder her, Wolfenstein spielt in einem Fantasy-Universum, in dem das Regime mithilfe uralter geheimer Technologie die Weltherrschaft übernommen hat. Unter der Führung General Totenkopfs beherrschen die Faschisten nun fast die ganze Welt und sperren alle Unwürdigen, Gegner und politischen Feinde in Lager. Die letzte Hoffnung der Menschheit erwacht in den 1960er Jahren in einem polnischen Krankenhaus aus dem Koma: B.J. Blaskowicz!
Aber noch einmal von Anfang. Wolfenstein setzt mit dem Prolog in den letzten Kriegsjahren ein. B.J. und seine Kameraden finden sich mitten in einem verzweifelten Angriff auf die Festung Totenkopfs wieder. Das einer der Mitstreiter frappierende Ähnlichkeit mit Dr. House aus der gleichnamigen Fernsehserie hat, sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt. Gleich zu Anfang stellt Wolfenstein den Spieler vor eine heftige moralische Entscheidung, die angeblich den Wiederspielwert erhöht. Einfach gesagt, beschränkt sich die Auswirkung aber auf die Möglichkeiten, Schlösser zu knacken oder elektronische Anlagen kurzschließen zu können. Die sog. alternative Zeitlinie, die in den schönen Zwischensequenzen erzählt wird, lädt aber nicht zwingend zum erneuten Durchballern ein. Das hat Wolfenstein aber auch fast nicht nötig. Die Geschichte ist insgesamt packend erzählt und sorgt sicherlich dafür, dass manch ein Gamer das Spiel in regelmäßigen Abständen erneut starten wird. Ein gutes Buch liest man ja auch immer mal wieder.
Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch die Möglichkeit, die meisten Situationen im Spiel auf verschiedene Weisen anzugehen. Ob heimlich meuchelnd mit dem Messer oder mit zwei Sturmgewehren im Anschlag, Wolfenstein bietet für einen simplen Shooter erfreulich viel Abwechslung, wird dabei aber nie zu einem reinen Stealth-Titel, sondern bleibt seinen Wurzeln stets treu.
Die Story rund um den Wiederstand, eine neue Liebe und das allgegenwärtige Regime, ist durchweg spannend inszeniert und weißt nur an manchen Stellen Schwächen auf, die aber kaum ins Gewicht fallen. Diejenigen, die vor übermäßigen Heldentum oder klassischen One-Man-Army-Action-Filmen der 80er Jahre zurückschrecken, sollten allerdings die Finger von Wolfenstein lassen. Zwischendurch gelingt es Wolfenstein, aber auch das kritische Auditorium zu überzeugen und das Spiel stellt in bedrückenden Szenen den ganzen Wahnsinn hinter der Ideologie des Regimes dar. Wenn sich Captain Blaskowicz in ein Gefangenenlager einschleust, dann hat die bedrückende Atmosphäre erschreckende Parallelen zur deutschen Geschichte. Natürlich löst Wolfenstein das Dilemma der Gefangenen in typischer Haudraufmanier auf. Bilder von gekachelten Gängen, in denen die Menschen in arbeitsfähig oder zum Tode verurteilt aufgeteilt werden, hinterlassen dennoch Spuren beim Betrachter.
Gerade an dieser Stelle muss die Gesetzgebung bezüglich der Darstellung von Symbolik und das erzwungene Umschreiben in Deutschland hinterfragt werden. Hier sollte vielleicht der ganze Wahn und die abgrundtiefe Menschenverachtung, die durch das Regime im Spiel dargestellt wird, deutlich gemacht werden. Nicht, dass Wolfenstein zu einem pädagogisch wertvollen Spiel wird. Diese Brücke überquert die gewaltlastige Handlung nie, aber dennoch ist es erstaunlich, das eben gerade ein solches Medium diese Momente erzeugen und zum Nachdenken anregen kann.
Kein schöner Land
Grafisch ist „Wolfenstein: The New Order“, keine absolute Offenbarung. Die Darstellung ist zwar zu jeder Zeit stimmig, an manchen Ecken zeigen sich aber deutlich die Schwächen der ID5-Engine, die ja auch schon in „Rage“ ihre Probleme hatte. Die Zwischensequenzen sind jedoch hervorragend dargestellt und schaffen es so, allen Charakteren virtuelles Leben einzuhauchen. Licht und Schatten liegen nahe beieinander, das gilt auch für Wolfenstein. An manchen Stellen, wenn zum Beispiel der Kaffee in der Tasse schwappt, ist die Darstellung schon beinahe brillant, an anderen Ecken kleben lieblose Texturen auf den Wänden und es kommt die Frage auf, was das eigentlich soll. Betritt man später die Mondoberfläche, sieht der Hintergrund beinahe so aus wie in einem indizierten Spiel der 90er Jahre, dessen blonder Held vor allem mit markigen Machosprüchen punkten konnte.
Es klingen die Lieder
Die Vertonung und Synchronisation von Wolfenstein sind durchweg gut gelungen. Leider geht hierbei jedoch, wie so oft, in der deutschen Fassung einiges an Atmosphäre verloren. Obwohl alle Sprecher passend ausgewählt wurden, hätte es dem Titel sicherlich gutgetan, wenn die Sprachen zum Teil im Original übernommen worden wären. Die einschaltbaren Untertitel machen speziell in hitzigen Gefechten viel Sinn, da hier – der einzige wirkliche Kritikpunkt beim Ton- die Sprache manchmal im Artilleriefeuer untergeht.
Besondere Erwähnung verdienen die Details, die sich in der Spielwelt an jeder Ecke finden und der fiktionalen Welt die Krone aufsetzen. Zeitungsausschnitte und Notizen, die überall in der Welt verstreut sind, erwecken die fiktionale Welt und ihre Hintergrundgeschichte bis in den letzten Winkel zum Leben. Die hervorragende musikalische Vertonung und die sammelbaren Schallplatten stechen dabei besonders heraus. Klassiker wie House of the Rising Sun, als neudeutsche Regime-Klassiker – Es steht ein Haus in Neu-Berlin – zaubern immer wieder ein Schmunzeln aufs Gesicht der Hörer. Die Stücke sind alle hervorragend aufgenommen und machen durch die Bank weg einfach Spaß. Dabei helfen sie ganz dezent dabei mit, dass „Wolfenstein: The New Order“ den Gedanken einer alternativen Realität unglaublich dicht erzählt und erschreckend faszinierend abbildet.
Ladehemmung?
Zu den wenigen Kritikpunkten, die es an Wolfenstein gibt, gehört sicherlich das ständige manuelle Aufsammeln aller Gegenstände. Old-School-Gameplay in allen Ehren, aber das ging früher schon mit einfachem Drüberlaufen. Die Kritik mag zunächst banal klingen, jedoch stellt sich nach dem Säubern eines Raumes voller Maschinensoldaten und der daraus resultierenden Munitionsknappheit, wirklich schnell ein klein bisschen Frust ein, wenn man jedes Gewehr, jeden Helm, jedes Medi-Pack einzeln anwählen und bestätigen muss.
Moment, Medi-Pack? Ja! Wolfenstein ist ein Schritt zurück und das ist auch gut so. Die Lebensenergie des Überhelden stellt sich nur in sehr geringem Maße selbst wieder her und der geneigte Überlebenskünstler ist darauf angewiesen, Medizintaschen, Essen und Rüstungsteile zu finden, um seine Lebens- und Rüstungspunkte wieder aufzufüllen. Wie schon im Original ist B. J. nicht gerade als Feinschmecker bekannt und leert auch gerne den Hundenapf am Boden, solange es dafür dringend benötigte Gesundheitspunkte gibt.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der erste etwas nervige Schneidbrenner, den Blaskowicz im Lauf des Spiels findet. Entwickelt sich dessen Nachfolger, das "Laserkraftwerk" im späteren Verlauf zu einem nützlichen Werkzeug und zur tödlichen Waffe, ist dieser Schweißbrenner für Arme einfach nur nervig. Einfach mal einen Zaun durchschneiden – wohlgemerkt billigster Maschendraht - kann da schon zur minutenlangen Pfriemelei ausarten, die das Spielvergnügen unnötig verzögert. An sich eine gute Idee mangelt es hier ein wenig an der Abstimmung des Werkzeugs. Wie gesagt, nachdem Tim Taylor sich das Ding vorgenommen hat und man quasi die Binford-3000-Version in den Händen hält, ändert sich das zum Glück schnell, aber am Anfang will gut Ding halt Weile haben.
Offizieller dt. Launch-Trailer
Hallo. Die DLH Redaktion hat für dich den ultimativen Tipp. Nutze die Doppel MGs und schalte eine auf Granatwerfen. Knall dem Herrn alle vor den Latz was du hast. Dann rechts über den Steg laufen, dort alles aufsammel und nachmunitionieren. Bleibe dann direkt am Steg, der Boss kommt nun genau dich zu, werfe alle Handgranaten und baller dann wieder aus allen Rohren. Sollte er noch leben, geh die paar Stugen vor dir runter, dort liegt Munition und eine Weste. Anziehen, Doppelschrotflinte und gib ihm den Rest. Immer daran denken, mit beiden Waffen feuern, nicht nur mit einer!
Gruß Tim-Oliver Siegwart
DLH.Net Redaktion
Gutes Review. Habe nur anzufügen, dass die schlechte Abstimmung der Sprachausgabe aber nur bei der deutschen Synchro ist.
Wird es von Moshpitjack Videos zu den "Bosskämpfen" geben ? Wie man General Totenkopf besiegt würde mich sehr interessieren....