Meisterdieb Garrett, Spezialagent Sam Fisher, Hitman Agent 47 und Solid Snake – die Liste der geschicktesten Schleichspezialisten liest sich beeindruckend. Ist da überhaupt noch Platz für einen übel gelaunten Goblin? „Styx: Master of Shadows“ ist jedenfalls trotz unverkennbarer Schwächen ein Geheimtipp unter den großen Vorbildern.
Goblin sucht Baumherz
Styx, den gemeinen Goblin, kennen Spieler bereits aus dem 2012 erschienenen Action-Rollenspiel "Of Orcs and Men". "Master of Shadows" erzählt nun die Vorgeschichte des grünhäutigen Fieslings als spielbaren Antihelden. Der Grund seiner schlechten Laune sind drückende Kopfschmerzen, wenn er nur an den Baum des Lebens denkt, dessen kostbares Herz er nur zu gerne in seinen Besitz bringen würde. Damit wäre der dünne Handlungsstrang auch schon grob zusammengefasst, denn in den acht Missionen mit einer umfangreichen Spielzeit von bis zu 16 Stunden in einer mittelalterlich angehauchten Fantasy-Welt führen sämtliche Hauptaufgaben die ungewöhnliche Spielfigur näher zum Ziel. Die Story verkommt schnell zur Nebensache, so richtig Fahrt nimmt die Erzählung erst in der letzten Hälfte wieder auf. Der große Pluspunkt ist Styx selbst, der so herrlich fies, gemein und sarkastisch ist, dass man sich seinem speziellen Charme nur schwer entziehen kann. Präsentiert wird das alles in Zwischensequenzen, entweder in Spielgrafik oder gezeichneten Standbildern.
Lust und Frust
Trotz erzählerischer Schwächen ist "Styx: Master of Shadows" spannend, was in erster Linie am tradionellen Stealth-Gameplay liegen mag. Zwar ist der Goblin in seinen Möglichkeiten Meisterdieb Garrett oder Spezialagent Sam Fisher hoffnungslos unterlegen, kann jedoch durch erlernbare Fertigkeiten aufholen. Punkte dafür verdient er sich durch erledigte Haupt- und Nebenaufgaben oder die Bergung von Medaillons sowie gut versteckten Artefakten in den riesigen, verschachtelten Arealen. Sechs Fertigkeitenbäume mit vier Stufen können im Versteck zwischen den Missionen freigeschaltet werden, die sich in Heimlichkeit, Gewandtheit, Klonen, Goldharzvision, Ausrüstung, Attentat und Jäger gliedern. So können beispielsweise geräuscharme Landungen oder Tötungen aus der Deckung, im Sprung oder hängend vollzogen werden. Praktischer Clou bei der ganzen Sache: Alle verteilten Fertigkeitenpunkte lassen sich wieder verlernen und neu verteilen.
Darüber hinaus helfen vier Grundfähigkeiten, deren Einsatz abhängig von der Goldharzleiste ist: Unsichtbarkeit, Rauchbombe, Klonen und Goldharzvision. Bei letzterer werden sowohl Gegner und Interaktionspunkte als auch Kletterstellen optisch sichtbar hervorgehoben. Mit dem Klon, der scheinbar aus den Eingeweiden des Goblins erscheint, haben sich die Entwickler ein paar leichte Rätsel einfallen lassen. Um beispielsweise in einen Tresorraum zu gelangen, sollen zwei Schalter gleichzeitig betätigt werden. Mit dem Klon kein Problem, der aber auch sonst ziemlich praktisch ist, etwa für Ablenkungsmanöver. Styx füllt seine Taschen nicht nur mit Schätzen, sondern hat nützliche Ausrüstung dabei. Neben Dolch, Wurfmesser und diversen Tränken erweist sich Sand als essentiell. Damit lassen sich viele, jedoch längst nicht alle Lichtquellen löschen.
Die Tätowierung dient als optisch clevere Sichtbarkeitsanzeige. Leuchtet diese auf, ist er in geduckter Haltung quasi unsichtbar für die auf allen vier Schwierigkeitsstufen durchwachsene künstliche Intelligenz der Wachen, Reinigungskräfte, Ritter, Inquisitoren, Orks und Mutantenschaben. Als Lockmittel kann mit dem Steuerkreuz Lärm erzeugt werden. Auf Geräuschquellen reagieren Widersacher zwar in der Regel sehr hellhörig, brechen ihre Suche aber auch schnell wieder ab, wenn sie den Verdächtigen nicht direkt finden. Kommt es dann doch einmal zu Auseinandersetzungen, braucht es gutes Timing beim so genannten Kampfsystem: Im Duell muss im richtigen Augenblick pariert und zum Gegenschlag ausgeholt werden. Das funktioniert allerdings nicht bei allen Gegnertypen, und viele Begegnungen sind gleichbedeutend mit dem Laden des letzten Spielstands, der jederzeit abgespeichert werden kann. Zwar setzt das Spiel auch automatische Kontrollpunkte, nur liegen die in der Praxis einige Minuten auseinander. Idealerweise meuchelt Styx seine Opfer ungesehen von hinten.
Den meisten Spaß bringen inszenierte Unfälle. Gelöste Kronleuchter oder schwere Kisten können gleich mehrere Gegner gleichzeitig außer Gefecht setzen. Leider verhalten sich auch hier vermeintliche Zeugen unglücklich und gehen recht schnell wieder ihrer eigentlichen Tätigkeit nach, ohne dem Tatort vor ihren Augen weitere Beachtung zu schenken oder gar Hilfe herbeizurufen. Ansonsten spielt sich der selbsternannte Meister der Schatten wie viele andere Genrevertreter. Türen knackt er automatisch per Knopfdruck, nachdem er vorher einen flüchtigen Blick durch das Schlüsselloch geworfen hat. Dank der geringen Körpergröße passt der Goblin auch problemlos unter jeden Tisch oder andere Objekte und hat damit eine weitere Möglichkeit, sich zu verstecken oder Feinden aufzulauern. Außerdem kann er kinderleicht Taschendiebstahl begehen und erledigte Gegner wegtragen und vor anderen verbergen. Mithilfe des Säuretranks lösen sich diese sogar in Luft auf. Auch Bodenbeläge haben ihren Sinn, schließlich ist auf weichen Teppichen die Lautstärke der Schritte wesentlich leiser als auf blankem Metall. Hüpfpassagen und Kletterpartien erfordern mitunter viel Geschick und Zielgenauigkeit bei der Landung oder dem Griff des nächsten Haltepunktes. Unzählige Bildschirmtode gehen nämlich auf das Konto der ungenauen Sprungsteuerung.
Mittelalterliche Kulissen
Optisch gibt sich das Spiel sehr schlicht, grafische Leckerbissen verstecken sich gut und bleiben im Verborgenen. Das Gesamtbild ist ein stimmiges Mittelalter-Setting, mal am helllichten Tag, mal umhüllt von der nächtlichen Finsternis oder in vielen düsteren Gewölben, wo weder Mond noch Sonne scheinen. Alles wirkt ein wenig so, als ob man in einem riesigen Labyrinth unterwegs wäre, das seine Herkunft aus dem Entwicklerbaukasten kaum kaschieren kann. Dafür gleichen sich die Umgebungen und Objekte zu sehr, im weiteren Spielverlauf kommt zudem Levelrecycling hinzu. Als Störfaktoren neben den langen Ladezeiten erweisen sich immer wieder flackernde Texturen und Schatten, ausgesetzte Animationsphasen und nicht zuletzt unschöne Clipping-Fehler, die insbesondere dann auftreten, wenn ein Gegner in unmittelbarer Nähe eines Objektes ausgeschaltet wird. Dann hängt nämlich schon mal der ganze Körper quer im Tisch.
Hölzern sind auch Gestik und Mimik von Freund und Feind. Dass das besser geht, beweisen die Entwickler doch selbst mit Spielfigur Styx. Merkwürdig wirken die Physikeffekte, wenn eben jener Protagonist mit beweglichen Objekten kollidiert, die daraufhin wenig nachvollziehbar und unfreiwillig komisch reagieren. Dummerweise hat dieses Manko nicht selten spielerische Auswirkungen, wenn wir beispielsweise wegen eines leicht tuschierten Stuhlbeins die Aufmerksamkeit einer Feindeinheit auf uns lenken. Die englische Sprachausgabe mit deutschen Untertiteln ist solide, wirkt bei mancher Nebenfigur jedoch entweder überspitzt oder lustlos. Auch hier sticht Styx wieder heraus, dessen Sprecher alle Gemeinheiten passend trifft. Die durchdachte Geräuschkulisse fügt sich überzeugend ins Geschehen ein, schließlich sollte man als Schleichspezialist nicht nur drohende Gefahren sehen, sondern auch hören können. In diesem Punkt steht "Styx: Master of Shadows" den großen Vorbildern kaum nach.
Offizieller Trailer