Alle Jahre wieder veröffentlicht EA Sports die Updates zu den wichtigsten Sportmarken der Welt. Wird hier in Europa FIFA, also das Spiel mit dem runden Ball, als wichtigste Jahresversion gefeiert, sehen das die Spieler jenseits des großen Teiches vermutlich etwas anders. Mit Madden liefert der amerikanische Publisher seit Jahren das Spiel zum großen Zirkus der National Football League (NFL) und den jährlichen Fluch für den auf dem Cover abgebildeten Spieler.
Einem Mythos nach konnte noch kein Spieler, der das jeweilige Cover ziert, in der anstehenden Saison einen Superbowl-Sieg verzeichnen, beziehungsweise mussten die meisten der abgebildeten Athleten die Saison sogar wegen einer Verletzung vorzeitig beenden. Genug Mystizismus. Rein ins Geschehen.
Brot und Spiele braucht das Volk
Die NFL ist weltweit der größte Zirkus rund um eine Sportart. Die Faszination eines taktisch tiefen Spiels, das von hochtrainierten Athleten mit massivem körperlichen Einsatz ausgetragen wird, fesselt jeden Sonntag hunderttausende Amerikaner, aber auch immer mehr Europäer vor die Bildschirme der Übertragungsgeräte. Madden gelingt es von Anfang an, das Gefühl der Faszination auf die Konsole zu übertragen. In typisch amerikanischer Übertreibungsmanier wird der Kampf um das lederne Ei präsentiert. Die von uns gespielte Xbox-360-Version – Asche auf unser Haupt – beeindruckt trotz der veralteten Technik der Konsole mit einem gestochen scharfen Bild und erstaunlicher Detailtiefe. Die Zuschauer sind dabei zwar, wie bei EA-Sports-Spielen üblich, recht generisch geklonte Flecken auf den riesigen Tribünen der Arenen, aber wen interessiert mitten im Spielgeschehen schon die Vielfalt der Fans.
Die wichtigsten Akteure dagegen, die Spieler, sind wie immer detailreich dargestellt. Die Helme glänzen unter den Flutlichtanlagen, egal, ob bei Regen, Schnee oder Sonnenschein. Football ist dreckig und hart. Und das spürt man bei jedem Tackle, auch wenn man ihn bequem vom eigenen Sofa aus steuert.
Das Team ist der Star
Egal, ob man seine Karriere als Einzelspieler bestreitet, als Coach die Geschicke des gesamten Teams übernimmt oder als General Manager die Fäden im Hintergrund zieht: Madden besticht im Gameplay durch eine relativ genaue Darstellung der Abhängigkeiten der einzelnen Positionen innerhalb eines Teams. Egal, wie gut der Runningback zu laufen vermag, ohne einen geschickt gewählten Spielzug und eine starke Offensive-Line, die ihm den Weg freiräumt, erzielt er nur wenige Achtungserfolge. Die Steuerung während der einzelnen Spielzüge geht gut von der Hand und wird in einem detaillierten Tutorial zu Beginn des Spiels auch Neueinsteigern sinnvoll erklärt.
Allein die vielfältigen Möglichkeiten, die sich einem bieten, wenn man einen Ball zum freien Receiver werfen möchte, fordern dennoch einiges an Übung. Betrachtet man die letzten 20 Jahre, hat sich auch Madden ähnlich wie FIFA vom reinen Arcade-Knopfdrück-Spiel zu einer ernst zu nehmenden Simulation gewandelt. Generell finden sich hier aber auch Anfänger mit ein wenig Übung zurecht. Komplizierter wird es bei der Auswahl der Spielzüge. Zwar bietet die Option "Ask Madden" immer eine gute Vielfalt an Möglichkeiten, jedoch kann bereits dies Spieler ohne jegliche Vorerfahrung überfordern. Ein wirklicher Anfängermodus, der einem die Auswahl komplett abnimmt oder erklärt, warum ein Screen-Pass – sofern der Anwender überhaupt weiß, was das ist – in der jetzigen Situation die richtige Entscheidung ist, fehlt leider. So bleibt Madden für Spieler ohne Background-Wissen oft weiterhin ein Buch mit sieben Siegeln. Noch verwirrender wird es, wenn man sich entscheidet, als Coach alle Geschicke seines Teams, auch außerhalb der eigentlichen Spiele, zu lenken. Draft, Training und Spielerentwicklung sind vollgepackt mit Informationen und Statistiken, die selbst gestandene Profis für Stunden beschäftigen. Für begeisterte Fans und Zahlenzauberer sicherlich eine tolle Option, für den Rest ein unglaublich unübersichtliches Datenmanagement. Madden bietet hier aber bei fast allen Entscheidungen sinnvolle Automatisierungsmöglichkeiten an. So bleibt die Detailtiefe fern vom "Gridiron" – wie die Amerikaner das Feld nennen – ein optionales Beiwerk.
Rollenspiel überall
Betrachtet man die heutige Gaming-Landschaft, kann man den Eindruck gewinnen, kein Spiel der Welt komme heute ohne von der PR hochgepriesene Rollenspielelemente aus. Seien es simple Ego-Shooter oder eben Sportspiele. Mit in den Partien gewonnenen Erfahrungspunkten kann man die eigenen Teamwerte beziehungsweise die des eigenen Spielers im jeweiligen Modus bearbeiten. So steigert man gezielt die Genauigkeit bei kurzen, langen oder mittleren Pässen oder die Blockfähigkeit der eigenen Line. Auch hier gilt wieder: Für Kenner eine nette Option, für Einsteiger etwas zu viel. Generell stellt sich die Frage, ob Sportspiele solche Möglichkeiten überhaupt brauchen, denn im Großen und Ganzen möchte man doch das Geschehen auf dem Feld lenken und sich nicht (außer im Managementmodus) in Details verlieren.
genial